Sorry, das hier ist etwas länger geworden…
Ich hab Glück, daß ich in der Business-Lounge was zum Sitzen gefunden habe. Ansonsten ist es hier eher wie in einer Sardinenbüchse. Ich war zwar noch nie in einer, aber egal. Einige stehen sogar. STEHEN. In der Business Lounge. Naja, heutzutage ist ja jeder wichtig und “business” – anscheinend. Essen ist jedenfalls genug da und ich schlage mir den Bauch voll, weil ich beim Frühstück nicht besonders viel gegessen habe. Außerdem ist ja schon wieder Mittag durch.
Platzmässig sind die Lounges wohl an ihre Grenzen gestoßen.
Genauso, wie die Favelas hier an ihre Grenzen stoßen, und dann eben nach oben hin weiterwachsen. Fehlt ein – nennen wir es mal “Wohnraum”, wird halt noch was obendrauf gemauert, gestellt oder gelehnt.
Favelas, die berühmten “Elendsviertel” in Südamerika.
Ich hab gestern mal ein wenig im Internet gestöbert und versucht, rauszufinden, was das eigentlich wirklich ist. Fest steht, es gibt unglaublich viele davon.
Als mein Taxifahrer gestern ‘wegen des starken Verkehrs’ eine Alternativroute um Sao Paulo herum gefahren ist (ich hab ihn immer noch in Verdacht, er wollte lediglich die erste Halbzeit “Italien-Spanien” im Confederations Cup in Ruhe fertighören, ohne auf den nervigen Innenstadtverkehr achten zu müssen), da habe ich viele, viele und noch viele mehr dieser Wohnsiedlungen gesehen. In der Dämmerung, wenn die ersten Leute das Licht einschalten, erkennt man, daß das, was man für eine Bauruine oder ein Parkhaus gehalten hat, scheinbar bewohnt ist. Vorhänge oder gar Fenster sucht man zeitweise vergebens. Manchmal gibt es aber statt Gardinen diese Stäbe in den Fenstern. Schwedische Gardinen? Knast in der Favela? Gelesen hab ich jedenfalls, daß es mittlerweile sogar Mini-Polizeistationen in einzelnen Favelas gibt.
Wie da wohl die Stellenbeschreibung aussieht? Und ob sie hier auch so auf Gleichberechtigung pochen, wo es um Frauen im Dienst geht?
Gute Frage.
Und das Gefängnis, das ich auf dem Weg zum Flughafen gesehen habe, schaut so aus, als würde es maximal die Menge an Politikern fassen, die bei ihrer Doktorarbeit irgendwo geschummelt haben. Viel Platz ist da nicht. Vielleicht ist das Ding auch unterkellert.
Gruselige Vorstellung.
Viele Fragen. Am Liebsten wäre ich halt mal hingegangen, in so eine Favela. Mit einem der Bewohner reden und mal fragen, wie das so ist.
Aber ich sprech ja kein Portugiesisch. Ansonsten wär das ja kein Ding…
(*Suchbild! Was ist hier falsch? “Frau Supersissy will in eine Favela!?”)
Ich glaube ja immer noch an das Gute im Menschen. Aber es soll auch Menschen geben, die nur mein Bestes wollen, am Besten in großen Scheinen. Kleine sollen auch genügen, so habe ich gehört. Und manchmal, ganz manchmal sind Menschen so arm, daß ein Menschenleben nicht viel wert ist, wenn man glaubt, an was zu essen oder – schlimmer – an Drogen zu kommen. Vielleicht sollte ich das dann lassen. Ich bin ja jetzt auch schon so gut wie zurück.
Wie gesagt, in der ich-bin-wichtig-Lounge.
Und wo ich mich hier so beschwere, daß ich meinen verwöhnten Hintern nicht in einer diskreten, ruhigen und exklusiven Lounge breitsitzen kann, so denke ich an die anderen.
Die, die am anderen Ende leben. Am ganz anderen Ende. Und jetzt meine ich nicht die, die in den Favelas leben. Tatsächlich gibt es Menschen, die nicht mal in einer Favela Platz finden. Und die liegen dann in den Straßen Sao Paulos irgendwo, in eine Decke gewickelt (so sie eine besitzen) und versuchen wahrscheinlich, ihr bitteres Dasein zu verschlafen. Oder die, die tatsächlich ihr Lager unter Brücken aufgeschlagen haben. Weil es da nicht auf den Kopf regnet beim Schlafen.
Und einen habe ich gesehen, der hat sich eine Art Zelt aufgebaut, eine Plane an einem Baum festgebunden und festgesteckt. Vielleicht ist das aber auch eine Art “Freiheit”, sich nicht den Regeln einer dieser Wohnsiedlungen zu beugen, die (so gelesen) oft von den Drogenhändlern regiert werden.
Ich rede ja immer rum, jeder entscheidet selbst über sein Glück, man muss es nur wollen und so. Aber wenn du in einer solchen Umgebung aufwächst, woher sollst du denn wissen, daß es sowas wie “Bildung” gibt? Und was das überhaupt bedeutet? Und wo man es bekommen kann?
Bei uns in Deutschland, da wird dir die Bildung hinterhergetragen, wenn das Kind nicht in die Schule gebracht wird, wird es eben abgeholt, dorthin.
Also, im Normalfall.
Und warum sollte ich mich also beschweren, daß hier in der Lounge kein Platz zum “loungen” ist? Ich hab doch kein Recht dazu? Vor dem Hintergrund, daß ich es eh besser habe als viele andere? Aber ich glaube, doch.
Denn so ein Flug kostet ein Heidengeld. Und die Fluggesellschaften machen nicht wenig Gewinn. Die denken sich “zahlen ja eh die Firmen” – stimmt schon. Aber wegen solcher Sachen müssen Firmen irgendwann sparen. Müssen irgendwann Leute einsparen – stellen weniger Leute ein – und irgendwo am Ende vom Teller fallen wieder ein paar Menschen ‘runter. In eine Sozialwohnung, in eine Favela oder auf die Straße.
Da endet dann meist die Reise.
Mein besagter verwöhnter Hintern wird dann gleich im Flieger im Liegesessel sitzen.
Und ich frage mich:
Ist das jetzt alles richtig so?
Eure nachdenkliche
Filia Leonis