Um die Ecke gereist

Ich hatte zu Beginn meiner Reise ja die total verrückte Idee, mich ein wenig in den Alpen herumzudrücken. Die Berge haben’s mir schon immer angetan, ich vergesse es nur leider immer wieder. Oder anders gesagt, mein Schweinehund sorgt immer wieder dafür, daß ich es vergesse. Futter gibt es für ihn genug:
“Nach Süden runter ist eh’ Stau”
oder
“Es regnet wahrscheinlich sowieso”
oder
“Ich bin doch gar nicht fit genug für eine Bergwanderung”
Unschlagbar allerdings ist:
“Ich habe nichts zum Anziehen”
Mein Schweinehund sitzt jetzt mit einem blauen Auge in der Ecke und schweigt (daran ist das bescheuerte, letzte Argument schuld), und ich sitze wiedermal mit weit aufgerissenen (auch blauen) Augen auf dem Berggipfel und schaue auf der einen Seite auf viele, viele Zeilen weiterer Gipfel, die nicht enden wollen. Auf der anderen Seite, der deutschen Seite das Allgäu. Grün, mit Seen, hübsche Hügel.
Weiter unten, fast im Tal findet eine Bergmesse statt. Und als die Alphörner einsetzen, habe ich wieder dieses eigenartige Gefühl des Besonderen.
Ich mache ein Foto für meinen Schweinehund, und viele “Bilder” mit dem Herzen, den Ohren und meinen Lungen.
Ein Berliner in Lederhosen und blitzsauberem, weißen Trachtenhemd springt über die Steine wie eine junge Gams, um die Alphörner besser zu hören, und um dem schwäbischen Gequatsche der anderen Wandergruppe zu entkommen. Mit einem herzlichen “dit is mir zuviel lärm hier” haut er einfach ab, nicht ohne eine kurze, sehr freundlche Zwiesprache mit einer Dohle zu halten, die sich ihm in den Weg stellt. Da sie kein Berlinerisch versteht, fliegt sie kreischend weg und sucht woanders Brotkrumen zum Naschen.
Ich könnte ewig hier sitzen.
Mach ich auch.

Irgendwann abends erzähle ich dem Sherpa, den ich in Nepal kennengelernt habe, und der in Tirol auf der Berghütte arbeitet, daß ich die Nacht vorher nicht gut geschlafen habe. “Ich hatte Herzklopfen – wegen der Höhe”, sage ich zu ihm.
Das milde Lächeln von ihm kann ich nicht sofort deuten. Er lächelt ja eh immer. Harmlos fragt er mich, wann ich denn in den Himalaya möchte.
Ich kriege einen roten Kopf. Naja.
Der Gute ist schließlich in völlig anderem Sauerstoffniveau als ich aufgewachsen, für den hat das Wort “Höhe” eine ähnliche Bedeutung wie “Starkstrom” für einen, der Überlandleitungen zusammenschraubt. “Santi, Santi,” sagt er zu mir. Immer mit der Ruhe. Ich glaube, er wird die Frage nach einem Nepal-Trek mit mir mit einem “oh – äh, da habe ich bereits einen Termin” quittieren. Denn wenn er mit mir läuft, kommen wir schätzungsweise nicht annähernd dorthin, was er mit dem Wort “Höhe” verbindet. Vielleicht aber auch doch.
Irgendwie möchte ich doch mal noch weiter oben sitzen und über die Welt blicken.
Es macht den Kopf frei und das Herz leicht, habe ich heute gesagt.

Übrigens, Kulturschock gibt’s hier ja auch genug. Und damit ist nicht mein nepalesischer Freund gemeint!
Ich habe mal gelernt, am Berg, da sagt man “Du”. Aber das scheint sich auf die bayernnahen Alpen zu beziehen. Jedoch nahe dem Allgäu, da wurde ich eigentlich grundsätzlich mit “Hän Sie des do hanne a scho g’sähe?” oder “waret Sie scho öfters do hanne?” (“Do hanne” heißt “hier”) angesprochen. Auch von Leuten, die ungefähr so alt sind, wie ich. Da lerne ich mal wieder, wie sehr sich die Schwaben von den Bayern unterscheiden.
Wundert mich, daß sie das “Kehrwoche-Schild” nicht mit hochnehmen 😉
Jedenfalls, schön war es am “Heilbronner Hausberg” und ich freue mich schon auf’s nächste Mal. Und es ist so einfach… einfach in’s Auto und Richtung Südwesten.
Keine Transsib, kein Flugzeug, der Rucksack wiegt nix (nach neuen Maßstäben ;-)), und ich brauche nur Euro.
Schön ist die Welt, aber daheim… das hat auch was.