Wer nach Russland oder Sibirien fährt, hat vielleicht die Idee, zu später Stunde mit Einheimischen Vodka zu trinken und gemeinsam russische (und ähnliche) Lieder zu singen. Wenn man so richtig Glück hat, passiert das auch. Auch ganz ohne Vodka. Es sind zwei Damen in Originaltracht für diesen Abend bestellt, was aber nicht groß publik gemacht wird (außer im Internet, und ich erwähnte ja bereits, HIER gibt es kein Internet), also sitzen wir in unseren Backpacker- und Wanderklamotten beisammen als die Damen nach dem Abendessen auftauchen. Und ab da wird gesungen. Franzosen, Spanier, Schweizer, Russen und Italiener sitzen beisammen und singen, was das Zeug hält. Und keinem ist wichtig, wie man dabei aussieht. Dima hockt mit seiner schwarz-roten Lederjacke auf einem Hocker und klimpert gedankenverloren und sehr leise auf der Gitarre eine Melodie, zu der er dann noch singt. Nick spielt und singt irgendwann mit dem Akkordeon Lieder in sämtlichen Sprachen, die ihm einfallen. Und all das ist schlicht. Und einfach. Und schlicht und einfach schön.
Warm wird es mit einem Holzofen und den Jacken, die man halt noch anhat, weil es nicht sehr warm ist im Raum. Es wird Tee getrunken und gelacht. Vor 20 Jahren hat man auf dieser Insel überhaupt erst Strom gelegt. Manchen älteren merkt man das auch heute noch an.
Hier wird das Licht ausgemacht, wenn man es nicht braucht. Und Wasser wird auch nur soviel verwendet, wie notwendig ist. Aufgegessen wird auch. Das macht aber nichts, denn das Essen ist sehr lecker.
In der Tischtennishalle spielen die Familien aus dem Ort gegeneinander Tischtennis. In Jeans, in Arbeitsklamotten, mit abgewetzten oder eigenen, kostbar gehüteten neuen Schlägern, in ausgeleierten T-Shirts, und keinem ist dabei wichtig, daß die neueste Funktions-Sport-Mode getragen wird.
Ich weiß nicht, ob man das nun “die russische Seele” nennt. Aber es hat verdammt viel damit zu tun, daß die Menschen hier die Dinge, die sie tun, zu lieben scheinen. Und daß sie die Dinge weder tun, weil sie irgendwie “in” oder “modern” sind, sondern aus und mit echter Leidenschaft und Hingabe.
Für diese kleine Lektion in Einfachheit bin ich heute unendlich dankbar.
Nein, es ist nicht “russische Seele”. Es ist “Seele”.